Die "Christkönigsgemeinschaft" und die "Theologische Abhandlung" über die Kirche

Die ökumenische Arbeit führte Metzger zum tieferen Verständnis des Wesens der Kirche. Nachdem er schon 1940 für die Una-Sancta eine größere Abhandlung "Die Kirche" niedergeschrieben hatte, findet Metzgers Sicht schließlich in der "Theologischen Abhandlung" über die Kirche von 1943/44 ihren schönsten Ausdruck. Aber hinter Metzgers Schrift steht noch ein weiteres Motiv. Metzger war nicht nur ein überfliegender Fantast, der in schönen Ahnungen von der kommenden Zeit etwas vorweggenommen hätte, Metzger war auch ein unnachgiebiger Praktiker. Er wußte genau, daß die schönsten Ideen keinen großen Wert haben, wenn sie nicht in die Wirklichkeit umgesetzt werden. So hat Metzger immer seine Gruppen und Grüppchen gehabt, wo seine Überzeugungen gelebt werden sollten. Vor allem war er überzeugt, daß das Evangelium nur konkret und in Gemeinschaft gelebt werden könne. Dazu gründete er bereits 1919 in Graz die "Missionsgesellschaft vom Weißen Kreuz", die im "Christkönigsinstitut" in Meitingen bei Augsburg heute noch existiert. Metzger hatte mit dem Christkönigsinstitut so etwas wie seine Kirchenvorstellung en miniature oder, wie er sie wiederholt nannte, eine "ecclesiola in ecclesia" im Sinne. Er erkannte, daß auch sein großes Kirchenmodell, das er aus dem Geheimnis des unergründlichen Heilswillens Gottes entworfen hatte, nicht gleich volle Zustimmung erhalten würde. Aber Metzger wollte eine kleine Modellkirche gründen, damit ihr Wesen sichtbar in der Welt dastehen werde. Metzger dachte an einen modernen "Orden in der Welt" für Männer und Frauen. Er selbst formte seine junge Gemeinde im Geist des Evangeliums; er forderte Selbstbekehrung und den Einsatz aller Kräfte für soziale Aufgaben und zum Aufbau des Reiches Gottes. Metzger arbeitete vorbereitend mit am Zustandekommen einer kirchlichen Rechtsform für diejenigen religiösen Gemeinschaften, die - wie er - nach neuen Formen suchten für ein "gottgeweihtes Leben inmitten der Welt". Erst drei Jahre nach seinem Tode (1947) gab die Kirche diesen neuartigen Gemeinschaften unter dem Begriff "Säkularinstitute" einen kirchlichen Rechtsstatus. Seitdem strebte die Christkönigsgesellschaft nach der kirchlichen Anerkennung als Säkularinstitut und wurde schließlich 1969 unter dem Namen "Christkönigs-Institut" kirchlich errichtet.

Diese Zusammenhänge werden an Metzgers "Theologischer Abhandlung" besonders anschaulich, also an jenem tiefsten Werk Metzgers, das sich mit dem Geheimnis der Kirche befaßt. Metzger wollte zum 25.Gründungsjubiläum der Christkönigsgemeinschaft zum Herz-Jesu-Fest 1944 - wir erinnern uns an die Gründung 1919 in Graz - dem Institut in Meitingen so etwas wie eine Festschrift zukommen lassen. Es sollte noch mehr sein. Darin sollten die Grundlagen der Gemeinschaft theologisch und spirituell erhellt und ihre Grundsätze niedergeschrieben werden. Es mag angemerkt sein, daß sich das Christkönigsinstitut Meitingen heute vor allem auf dieses theologische Vermächtnis stützt. Inzwischen war Metzger in Berlin aber schon inhaftiert und auch schon verurteilt worden. Ein Großteil der Theologischen Abhandlung ist in der Todeszelle entstanden. Sie wurde mit gefesselten Händen niedergeschrieben. Im Meitinger Archiv ist das Originalheft aufbewahrt; es zeigt die ganze Mühe und Sorgfalt, die Metzger in Schrift und Gedanke verwandt hat, um sein geistliches Vermächtnis niederzulegen. Metzger konnte seine Abhandlung drei Wochen vor seiner Hinrichtung vollenden. Er übergab sie dem damaligen Gefängnispfarrer Peter Buchholz bei dessen letztem Besuch in der Todeszelle. Große Erleichterung spricht aus einem der Abschiedsbriefe Metzgers, daß er seine Überlegungen zur Kirche noch abschließen und seiner Gemeinschaft zum Fest anvertrauen konnte. Denn deswegen hatte Metzger die Abhandlung über die Kirche in Angriff genommen. Aber um zu begreifen, was diese seine Gründung wollte, mußte er in einem ersten Teil zuerst das Geheimnis der ganzen Kirche Jesu Christi betrachten. Es ist jener prophetische Teil, der auf das II. Vatikanische Konzil vorausweist. In einem zweiten Teil aber will Metzger darlegen, wie die von ihm gegründete Gemeinschaft in Grundzügen das Wesen der Kirche en miniature leben will. In allem sei Christus Herr und König; seine Gemeinschaft nennt er Christkönigsgesellschaft, "Orden der Zukunft", wie er die wegweisende Gründung selbst charakterisiert.

In der Tat scheint mir die theologische Sicht der "Theologischen Abhandlung" auf die Ekklesiologie des II.Vatikanums und besonders auf die dogmatische Konstitution "Lumen gentium" vorauszuweisen. Dazu seien nur einige wesentlichste Hinweise erlaubt. Natürlich ist damit in keiner Weise gemeint, als ob Metzgers theologische Überlegungen irgendwelchen Einfluß auf die Kirchenkonstitution gehabt hätten. Das ist aus dem einfachen Grund schon nicht möglich, weil die "Theologische Abhandlung" erstmals in der Freiburger Dissertation von Frau Marianne Möhring unter Prof. A. Franzen im Jahre 1966 publiziert worden ist. Ich denke eher, die "Theologische Abhandlung" spiegelt in sich einen Strom der Theologie der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, der erst im II. Vatikanum so recht zur Geltung gekommen ist. Das soll aber auch wiederum nicht heißen, daß Metzger nur ein Konglomerat der verschiedenen Richtungen wiedergegeben habe, sondern er hat im Anschluß an diese Theologie ein ganzheitliches Bild von der Kirche entworfen, das in vielem an das II.Vatikanum erinnert.

Metzger gehört wohl in die Reihe jener Theologen der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts, die das gemeinsame Merkmal haben, daß sie zum einen in der ökumenischen Theologie engagiert waren und zum anderen sozusagen als Konsequenz daraus wesentliche Gedanken zur Ekklesiologie vorgetragen haben. Ökumenische Theologie zu betreiben war zu Zeiten Metzgers keine Selbstverständlichkeit. Theologen wie Max Pribilla (1874-1956), Arnold Rademacher (1873-1939), Robert Grosche (1888-1967), Mathias Laros (1882-1962), Karl Adam (1876-1966) oder Yves Congar gehörten zu ihnen und werden von Metzger hoch geschätzt. Sie alle haben Untersuchungen zur Kirche vorgelegt: A.Rademacher, Die Kirche als Gemeinschaft und Gesellschaft (1931), R.Grosche, Pilgernde Kirche (1938), K.Adam, Das Wesen des Katholizismus (1924), Y.Congar, Chrétiens désunis (1937). Sie und andere werden in den Fußnoten der Theologischen Abhandlung genannt oder müssen für deren Verständnis mitbedacht werden. Dazu wären ebenso zu nennen R.Guardini, Vom Sinn der Kirche (1922), oder kurz zuvor erschienen M.D. Koster, Ekklesiologie im Werden (1940) und K.Feckes, Das Mysterium der heiligen Kirche (1935). Metzger kannte sich in diesen Werken gut aus, wenn er in seiner Studie auf sie hinwies, obwohl er selbstverständlich keines der Bücher in der Todeszelle zur Verfügung hatte. Diese ekklesiologischen Entwürfe dürften alle bedeutsam geworden sein für die Geschichte der Theologie bis hin zum Vatikanischen Konzil.

Welche wesentlichen Grundzüge sind es nun, die zu einem Vergleich der "Theologischen Abhandlung" mit dem Kirchenbild des Vatikanums berechtigen? Ich muß mich auf Grundzüge beschränken. Ein erster Hinweis ergibt sich aus der theologischen Sprache, wie Metzger von der Kirche redet. Er will ausdrücklich in der Sprache der Bibel und der Väter reden, wie er selbst unterstreicht: "Wenn von 'Kirche' die Rede ist, bedarf es einer genaueren Herausarbeitung dessen, was damit gesagt sein will, und zwar grundlegend auf Grund der - nicht 'definierenden' (abgrenzenden), sondern bildhaft beschreibenden - Ausdrucksweise der Heiligen Schrift; diese Schau der Kirche haben die 'Väter' übernommen und entfaltet und die Theologen begrifflich weiterentwickelt, ohne bisher zu einer abschließenden 'Ekklesiologie' gelangt zu sein". Metzger gebraucht zur Beschreibung der Kirche dann vor allem die biblischen und patristischen Bilder, wie sie uns aus der Kirchenkonstitution bekannt sind.

Ein zweiter Gesichtspunkt ergibt sich aus dem eigentlich theologischen Ansatz Metzgers für das Verständnis der Kirche. Nach ihm ist Kirche zuerst Kirche Christi. Sie ist universales Zeichen des Heils für die ganze Welt. Es ist Jesu Wille, das "Reich Gottes" auf Erden zu verwirklichen. Die konkrete Kirche ist nicht schon identisch mit dem "Reich Gottes", sondern in dessen Dienst gestellt. Es ist unübersehbar der ökumenische Antrieb Metzgers, der ihn auf der Universalität des Heilszeichens der Kirche bestehen läßt: "Die ganze Menschheitsgeschichte ist im Grunde Heilsgeschichte, eine einzige 'Heilsökonomie', eine von Gottes Weisheit und Liebe bestimmte, wenn auch von den Menschen in den Einzelheiten nicht durchschaubare Heilsführung, in der alle Weisen und Seher, Philosophen und Dichter, Propheten und 'Heilige' aller Völker, von Gott her gesehen, ihre Funktion hatten, wenn auch vielleicht zunächst nur als Wecker einer Sehnsucht...als Künder einzelner Wahrheiten, die wie verstreute Lichtstrahlen auf die Sonne als ihre Quelle hinwiesen, in der einmal 'das Licht' der Menschheit erscheinen sollte... Die ganze Menschheit ist gemeint von Gott mit seinem Heilsplan. 'Gott will, daß alle Menschen selig werden' (1 Tim 2,4)". In diesem universalen Heilsplan hat die Kirche als pilgerndes Volk Gottes ihre bestimmte Sendung: "Diese seine Kirche ist nicht das 'Reich Gottes', aber in ihr und durch sie soll in dieser Weltzeit Reich Gottes Wirklichkeit werden, soweit dies eben möglich ist in einer Welt, in der alles noch 'Stückwerk' ist und bleibt - eigentliche, volle Wirklichkeit wird das Reich Gottes erst, wenn der Kyrios als Richter seiner Kirche und der Welt wiederkommt... Dann hat die sehnsuchtsvolle Adveniat-Bitte der pilgernden Kirche ihre eigentliche Erfüllung gefunden...". Ich denke, daß dem Kirchenbild des II.Vatikanums ein sehr ähnlicher theologischer Ansatz zugrunde liegt.

Der dritte Grundzug ergibt sich aus diesem theologischen Ansatz. Er prägt nun die Gestalt der Kirche insgesamt, wie sie von Metzger im einzelnen ausgeführt wird. Die Stichworte der "Heilsgeschichte", d.i. des "pilgernden Gottesvolkes" hier auf Erden und der insgesamt "eschatologischen" Verfassung der Kirche, sind dazu schon gefallen. Diese Sicht läßt Metzger ein Bild der Kirche entwerfen, wie es wohl erstmals dann in "Lumen gentium" offiziell festgehalten worden ist. Metzger spricht schon von der "Kirche ab Abel", wenn er die heilsgeschichtliche Betrachtung auszieht: "Die ganze Menschheit ist daher auch von Gott gemeint mit dem Plan der 'Kirche', denn 'in Christus wollte er alles im Himmel und auf Erden wieder unter einem Haupt zusammenfassen'. Hier haben wir den universalsten Begriff von 'Kirche', der 'Kirche von Anbeginn', zu der als 'Auserwählte' nicht nur je 12 Tausend aus allen 12 Stämmen Israels, sondern eine unzählbare Schar aus allen Völkern, Stämmen, Rassen und Sprachen gehören". Metzger weiß gut, daß dies zwar nur der allgemeinste Begriff von Kirche ist, aber das Bewußtsein von ihr ist zu seiner Zeit wohl schon erstaunlich. Bedenkenswert auf dem Hintergrund des Vatikanums wäre dann ebenso der Weg, auf welchem Metzger theologisch bis zur konkreten katholischen Kirche hinführt.

Es konnten nur einige Grundzüge zum Kirchenverständnis Metzgers angedeutet werden. Der erste Teil der Theologischen Abhandlung mündet schließlich in die drängende Frage nach dem Geheimnis der Kirche ein, näherhin in die Frage nach der "sichtbaren" und "unsichtbaren" Kirche. Sie hatte Metzger durch die Jahre hindurch vor allem im ökumenischen Gespräch bedrängt. Von ihr hängt offensichtlich eine Beurteilung der Zugehörigkeit zur Kirche ab. Metzger hatte dazu in der Gefangenschaft noch eine eigene Abhandlung verfaßt. Auch beim II.Vatikanum trat diese Frage in den Mittelpunkt, wenn ich an den Artikel 8 von "Lumen gentium" erinnern darf. Hinzuweisen wäre nicht weniger auf das trinitarische Ursprungsgeheimnis der Kirche oder auf die Neuformulierungen der Wesensmerkmale der "einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche", auf die Metzger besondere Sorgfalt legt. Schließlich sind seine Ausführungen zu dem Platz der Orden und vor allem zu seinem modernen "Orden der Zukunft", die Christkönigsgesellschaft, sicher zukunftsweisend, wenn er im zweiten Teil der "Theologischen Abhandlung" seine Schau der Kirche nun auf die kirchlichen Gemeinschaften, die "ecclesiolae in ecclesia", anwendet.

Es mag aus den Ausführungen nun genug hervorgegangen sein, wie sehr für Metzger das Geheimnis der Kirche in die Mitte seiner eigenen Bemühungen treten mußte. Auf die Schau der Kirche Christi hin und in diesem Licht der Gründung seiner Christkönigsgesellschaft hatte sich das Lebenswerk Metzgers zum Ende hin konzentriert. Aus der prophetischen Schau des Geheimnisses der Kirche schöpfte er von un an Kraft und nahm er seine ganze Hoffnung. In der "Theologischen Abhandlung" aus der Todeszelle ist nie ein Zittern und Zagen festzustellen, im Gegenteil schreitet Metzger mit unerhörter Klarheit seine Gedankenwelt zur Kirche aus. In der Kirche also hatte Metzger zum Schluß so etwas wie die rettende Stätte gefunden.

Von daher werden wir verstehen, wie sehr es Metzger getroffen haben muß, als man ihm durch die Nazis auch diese letzte Hoffnung noch nehmen wollte. Wir kennen die Szene aus dem Augenzeugenbericht von Frau Martha Reimann, die neben einer anderen Schwester und einem Vertreter aus Freiburg beim Prozeß gegen Metzger vor dem Volksgerichtshof dabei sein konnte. Frau Reimann ist vor allem eine Szene von dem dämonischen Schauspiel in Erinnerung geblieben. Sie erzählt: "Ich sehe alles noch deutlich vor mir. Die große Tribüne in der Aula des Gymnasiums in der Bellevuestraße in Berlin, Sitz des Volksgerichtshofes. Die Wände der Tribüne waren ringsherum ausgeschlagen mit roten Hakenkreuzfahnen. Der lange Richtertisch in der Mitte der Tribüne, die Richter in den blutroten Samtroben. Links und rechts die 'Volksrichter' in brauner Uniform. Rechts der Reichsanwalt. Links die Anklagebank, auf der du Platz genommen hattest, und dahinter die Bewachungspolizei. Noch heute spüre ich die lastende Atmosphäre, schwer und drückend von lauernder Böswilligkeit. Ich höre noch das fanatische Geschrei des Richters Freisler und die Lachsalven der 300 Zuschauer, wenn ein zynischer Witz über das 'Opfer' niederging. Aber ich höre auch noch - und ich werde es nie vergessen -, daß das Wort Christus laut und deutlich und selbstverständlich in diese dämonische Atmosphäre hineingesprochen wurde. Freisler, in solchen Prozessen ein großartiger Schauspieler, ließ seine bekannten Register spielen...: 'Dann haben Sie also die `Una Sancta'gegründet, und dann wohl auch noch die 'Una Sanctissima'', höhnte er mit gereiztem Ton. ''Una Sancta', was ist das?' Der Saal ist atemlos still, als Metzger es näher auszuführen beginnt: 'Christus hat nur eine Kirche gegründet...'. Dieses Wort Christus in der dämonischen Atmosphäre des Gerichtshofes... Stein des Anstoßes! Freisler tobt, höhnt, brüllt. 'Una Sancta, Una Sancta...una (seine Stimme stockt)...una...das sind wir, und sonst gibt es nichts".

Mächtiger konnten zwei Welten wohl kaum aufeinanderprallen: Metzgers Glaube an das Reich Gottes, das nicht von dieser Welt ist, und des Nazirichters Freislers Arroganz, das Reich Gottes für die Naziherrschaft zu beanspruchen.

Quelle: Uni Augsburg